Pizzanudeln

Interkulturelle Zusammenarbeit unter Stress – Synergetische Potentiale in der interkulturellen Begegnung

1. WORUM ES GEHT

Sehr geehrte Damen und Herren,

im Kern des Lernszenarios „Pizzanudeln“ geht es um das Thema „Synergie“.

Das Thema „Synergie“ ist ein besonderes, weil es auf der einen Seite elementar und auf der anderen Seite komplex und stressig ist. Deswegen umkreisen wir im ersten Schritt das Thema und erst im zweiten Schritt wird es dann konkret. Dann werden wir die Phasen synergetischer Prozesse beschreiben und kommentieren, wie Sie diesen Prozess moderieren können.

2. ÜBERBLICK

Zuerst werden wir uns über die Rahmenbedingungen der interkulturellen Prozessmoderation verständigen. Dabei werden wir danach fragen, wie wir den „Zufall zu unserem Freund machen“ können und welche Bedeutung der Dialog auf Augenhöhe in Situationen hat, die uns über den Kopf zu wachsen drohen. Dann ist es nur noch ein kleiner Schritt zur interkulturellen Kommunikation, in der sich Zufälle zu neuen ungeahnten Kulturen verbinden.

Damit sind wir dann beim Thema „Synergetische Potentiale der interkulturellen Begegnung“, dem wir mehr Platz einräumen werden. Wir werden hier die Phasen synergetischer Prozesse beschreiben und mit knappen Handlungsanweisungen versehen.

Im dritten und letzten Teil lesen Sie einiges zum Thema „Umgang mit Stress im Zusammenhang mit Interkultur“. Das muss sein, denn Synergien zu moderieren, setzt ein hohes Maß an Stress-Stabilität voraus.

Bitte schauen Sie sich jetzt erst mal unsere Animation an.

ANALYSE DER ERSTEN ANIMATION

4. Kommentierung von Einzelaspekten: Zufall, Augenhöhe, Interkultur

Den Zufall zulassen bedeutet, die in der interkulturellen Begegnung schlummernden Potentiale zuzulassen. Das bedeutet, den Prozess nicht zu dominieren/managen, sondern ihn zu moderieren. Den Zufall provozieren zu könne, ist eine Moderationsleistung.

Unter Moderation verstehen wir „zulassen- loslassen- laufenlassen- einfangen“. Moderieren bedeutet „verstehen wollen“, „gemeinsam eine Lösung suchen“, „Versuch und Irrtum provozieren“ und „Vertrauen in die Beteiligten haben“ und in das, was sie mitbringen.

Moderation in interkulturellen Settings hat zusätzlich damit zu kämpfen, dass die Moderierenden in unbekanntem Terrain agieren. Sie sind also mit einem Mehr an Un-Eindeutigkeit und einem Weniger an Plausibilität konfrontiert. Interkulturelle Moderation ist die hohe Schule der Moderation.

Das bedeutet für Sie: Ihre Partner*innen sind Teil der Lösung. Sie als Moderator*in sollten sich als Katalysator verstehen, die die unbekannten Differenzen zum Austausch und zum Aushandeln von Differenz motiviert.

Das bedeutet vor allem: Schützen Sie den (Austausch-) Prozess. Schützen Sie die Kommunikation.

Besonders anspruchsvoll wird die Moderation, wenn Sie gleichzeitig auch noch in einem kritischen Aushandlungsprozess als Akteur*inn involviert sind. Wenn Sie sowohl am System als auch im System arbeiten. Wenn Sie in dieser undankbaren Doppelfunktion agieren müssen, empfehlen wir Ihnen, dass Sie sich eine externe Person zur Prozessmoderation oder als Berater*in dazu nehmen.

Hinweise auf unsere Arbeitsblätter

Im Kontext von „Zufall“ empfehlen wir Ihnen folgende unserer Arbeitsblätter:

Die Qualität eines jeden Dialoges bestimmt sich aus dem Respekt und der Wertschätzung des Gegenübers. Genau das bezeichnen wir mit Augenhöhe.

Im interkulturellen Dialog sprechen wir hier auch vom „Aufbau einer symmetrischen Beziehung“. Soll der interkulturelle Dialog gelingen, so bedarf es der beidseitigen ehrlichen Wertschätzung/der Symmetrie. Denn nur so:

  • öffnen sich die Akteur*innen,
  • entsteht Vertrauen,
  • bringen die Prozessbeteiligten ihre Potentiale und Erfahrungen in den Dialog oder die Zusammenarbeit ein.
  • sind die Beteiligten bereit, „aus der Deckung zu gehen“, sich zu exponieren im Versuch und das ihnen Vertraute mit neuen interkulturellen Herausforderungen zu verknüpfen.

„Denn Offenheit und Bereitschaft zum wertschätzenden Umgang mit Unterschieden sind essentiell, um gemeinsam mit anderen Menschen Neues zu entwickeln.“[1]

Augenhöhe, Symmetrie, Wertschätzung, Respekt und Haltung sind in interkulturellen Kontexten ein viel strapaziertes Wortfeld. Das impliziert sowohl die Wichtigkeit für den interkulturellen Dialog wie auch einen Mangel an Augenhöhe im interkulturellen Dialog.

Wenn Ihre Haltung zum Gegenüber stimmt, dann ist alles andere zweitrangig. Ihre Haltung/Einstellung zum fremdkulturellen Counterpart ist das entscheidendste Kriterium zum Gelingen des interkulturellen Dialoges.

Für Lehrende bedeutet das, dass Sie sich hinterfragen sollten:

  • „Agiere ich symmetrisch und wertschätzend?“
  • „Dominiere ich einseitig den Dialog“?
  • „Wie nutze ich die Möglichkeiten zur Machtausübung, die mir als Lehrer*in zur Verfügung stehen?“

Die Themen „Macht“ und „Augenhöhe“ gehören zusammen. Wer die Macht hat, muss sich nicht um Augenhöhe kümmern. Er oder Sie können den Prozess dominieren. Das verhindert, dass sich die in der Interkultur angelegten Potentiale von Diversity entfalten können.

Deswegen sollten die Akteur*innen der Beruflichen Orientierung die Machtasymmetrien und ihre Möglichkeiten zum Machtmissbrauch reflektieren. „Wir müssen die Machtverhältnisse verstehen!“ [2]

Bitte gehen Sie in sich, wenn Sie nicht bereit sind:

  1. Machtasymmetrien und Dominanzverhalten kritisch zu hinterfragen.
  2. Ihren persönlichen Umgang mit Ihren Machtmöglichkeiten zu reflektieren.

  1. Jede Interkultur ist ein einzigartiger nicht wiederholbarer Event.
  2. Interkultur bedeutet das Fehlen von Normalität und Plausibilität.
  3. Eine Interkultur ist ein Noch-Nicht. Das bedeutet das Fehlen von gemeinsamen Plausibilitäten und Konventionalisierungen.

Das bedeutet, dass Interkultur auch zwischen Menschen einer Ethnie passieren kann, wenn beispielsweise gewohnte Strukturen und Normalitäten aufgebrochen werden.

Beispielsweise wenn zwei unterschiedliche Firmen fusionieren (subkulturelle Konstruktion „Firmenkultur“) oder wenn zwei monokulturell zusammengesetzte Schulklassen zusammenkommen.

Auch in solchen Settings stehen die Interaktionspartner vor der Aufgabe, eine neue Normalität zu etablieren. Falls sie sich dieser Aufgabe nicht bewusst stellen, so wird sich eine neue Normalität ungesteuert und scheinbar von selbst auf informellen Wegen etablieren.

Wir haben die Küchenszene bewusst inszeniert, weil sich am gemeinsamen Kochen schön bildlich darstellen lässt:

  • wie aus Zutaten, die auf den ersten Blick nicht zusammenpassen, doch noch ein schmackhaftes Gericht werden kann.
  • wie unterschiedliche Vorstellungen sich bereichern können.

Sie überfordert Ali nicht noch zusätzlich. Sondern sie empfiehlt ihm, auf das gesamte Bündel seiner sozialen Ressourcen zurückzugreifen.

Das ist eine erfolgversprechende Strategie gerade für Menschen, die sich in einem Akteursfeld bewegen, dessen Konventionen ihnen teilweise fremd sind. Dieser Mangel an Plausibilität ist zusätzlich belastend. Bitte vergleichen Sie dazu unser Arbeitsblatt Perspektivenreflexivität.

Letztendlich leben er und seine Familie in Deutschland als einem Akteursfeld, das sich ihnen noch nicht voll erschließt. Umso wichtiger ist dann das Herstellen von Plausibilitäten durch den Rückgriff auf die eigenen Netzwerke und Ressourcen.

5. Tipps

  • Achten Sie auf die Gelingensbedingungen von Interkultur. Achten Sie auf die „Zutaten“ und auf die Erfahrungen, die die Akteur*innen mitbringen.
  • Sorgen Sie dafür, dass die Akteur*innen in den Austausch und in die gemeinsame Aktivität kommen. Kommunikation kommt von communis agere (lat.) – etwas gemeinsam tun.
  • Klären Sie Unklares am Anfang.
  • Agieren Sie in Ihrer Moderation bewusst auf der Meta-Ebene.

Merke: Grundsätzlich gilt – Beziehungsebene vor Sachebene

Hinweise auf unsere Arbeitsblätter

Im Kontext von „Interkultur“ empfehlen wir Ihnen folgende unserer Arbeitsblätter:

Das Besondere an Interkultur:

Interkulturen moderieren:

6. Wissensvermittlung

Liebe Kolleginnen und Kollegen,unser Lernszenario „Pizzanudeln“ hat noch eine tiefere Dimension: die Synergie. Nun werden wir die unterschiedlichen Phasen der Synergie erläutern.Zum Zweiten werden wir dann noch einige Anmerkungen zum Thema „Stressbewältigung in der interkulturellen Begegnung“ machen. Grund für diesen zweiten Punkt ist die Erkenntnis, dass das Zulassen synergetischer Aushandlungsprozesse gerade für die Pädagog*innen stressig sein kann, sodass sie in der Folge oft dazu tendieren, solch einen intensiven Aushandlungsprozess zu unterdrücken.

6.1 Synergetische Potentiale interkultureller Begegnung

Jede Kultur ist das Ergebnis von synergetischen Prozessen.

Wenn Repräsentant*innen unterschiedlicher Kulturen in Interaktion miteinander treten, so ist das Resultat zu Beginn meist eine Destabilisierung der gewohnten kulturellen Konstruktionen. Aus den Kulturen wird eine Interkultur. Im Zuge der Interaktionen kann sich dann eine neue gemeinsame Plausibilität einstellen. Diese ist dann die neue gemeinsame Kultur.

Diese neue gemeinsame Kultur stellt eine neue Qualität dar. Sie ist das synergetische Produkt der Ursprungskulturen und des Interaktionsprozesses. Deswegen schwingt Synergie als Thema und Phänomen in der Diskussion interkultureller Prozessdynamiken immer mit.

Mit der interkulturellen Interaktion startet eine Dynamik, die wir in ihrer Komplexität nicht erfassen können. Irgendwann im Laufe der kommunikativen Interaktion wird sich eine neue Normalität etablieren. Diese neue Normalität (Kultur) ist das Ergebnis vorangegangener synergetischer Prozesse.

Im Folgenden werden wir dieses Thema ganz pragmatisch behandeln. Wir werden die unterschiedlichen Phasen der Synergie am Beispiel unseres Lernszenarios „Pizzanudeln“ verdeutlichen. Dann werden wir überlegen, wie wir diesen synergetischen Prozess positiv beeinflussen können.

Für Sie ist das Wissen hinsichtlich der synergetischen Potentiale interkultureller Begegnung wichtig, weil Sie damit die Chance haben, Ihre Unterstützungsleistungen gezielt und angemessen zu platzieren. Sie können souverän interkulturelle Prozesse begleiten.

Wichtig ist auch das Wissen, ob und wann man sich als Akteur*in der Beruflichen Orientierung aus solchen Prozessen zurückziehen sollte, denn die Differenz ist der Motor der interkulturellen Begegnung. Prozessbegleiter*innen tendieren oft dazu, Differenzen schnellstmöglich zu beseitigen. Damit riskieren sie aber, dass sie die synergetischen Potentiale der interkulturellen Begegnung in ihrer Entfaltung behindern.

Jetzt verdeutlichen wir im ersten Schritt die Synergiephasen am Beispiel unseres Lernszenarios „Pizzanudeln“.

Phase 1: „Normalität“ – Alles läuft so wie gewohnt. Geburtstagsfeier steht an. Die Verabredungen sind getroffen. Ganz normales Leben im Wohnheim. Jeder der Beteiligten denkt, der andere hätte eingekauft. Solche Missverständnisse sind häufig.

Phase 2: „Instabilität“ – Der Blick in den Kühlschrank ändert alles: leerer Kühlschrank, Schreck. Normalität durchbrochen. Instabile Situation. Plötzlich Stress. Streit keimt auf. Es droht eine Eskalation.

Phase 3: „Fluktuation“ – Unterschiedliche Perspektiven konkurrieren. Chaos macht sich breit. Ausgang ist offen.

Phase 4: „Symmetriebruch“ – Amera kommt dazu und schlichtet. Intensivierung der Bemühungen, das Problem zu lösen. Kommunikation auf Augenhöhe. Die Idee „Pizzanudeln“ entsteht. Das ermöglicht die beste Verwertung der knappen Ressourcen.

Phase 5: „Konsensualisierung“ – Ein neues Rezept hat sich im System „Wohnheim-Küche“ durchgesetzt. Das Rezept ist das Produkt gemeinsamer symmetrischer Kommunikation.

Fragen wir jetzt nach den synergetischen Potentialen in der interkulturellen Begegnung, wobei wir unsere Animation vor Augen haben sollten. Sie ist ein idealtypisches Beispiel für eine gelungene, also positive Synergie.

Das Besondere an der interkulturellen Begegnung ist, dass Akteur*innen aus unterschiedlichen Akteursfeldern miteinander in Interaktion treten. Die Folge ist, dass sich unterschiedliche Konventionen/Sitten/Kulturen und Normalitätsvorstellungen plötzlich im Austausch und in Konkurrenz befinden. Das führt zur Instabilität der unterschiedlichen Ordnungssysteme. Das führt oft zu Überforderung, Stress und dem Gefühl, nicht zu wissen, woran man ist.

Die Akteur*innen reiben sich aneinander. Bisweilen sind sie konstruktiv um Lösungen bemüht. Bisweilen eskaliert die Situation und führt zu unerträglichen sozialen Spannungen. Solch eine Eskalation ist emotional belastend. Viel zu oft führt die Eskalation zum Beziehungsabbruch. Dies wiederum ist der Grund, dass die Prozessverantwortlichen das Entstehen von Eskalation proaktiv mit Regeln zu unterbinden versuchen. Diese Regeln sind häufig Bestandteil der offiziellen Firmen- oder Schulkultur.

Es gibt aber eine gute Nachricht: Menschen wollen Frieden, keine Eskalation. Menschen wollen Orientierung und Normalität. Deswegen werden sie aus sich selbst heraus versuchen, solch instabile Dynamiken zu lösen. Lösen würde bedeuten, dass die Instabilitäten ausgehandelt und dann mittels Übereinkunft in ein erstes fragiles Normensystem überführt werden. So entsteht eine erste fragile Normalität.

Voraussetzung dafür im synergetischen Sinne ist allerdings, dass die konkurrierenden Lösungsvorschläge sich auch aneinander reiben können. Hier ist wirklich das Fingerspitzengefühl der Prozessverantwortlichen gefragt!

Die Phase 3 (Fluktuation) ist für die Akteur*innen am schwersten auszuhalten. Pädagog*innen tendieren in solchen Eskalationsdynamiken dazu, mittels autoritärer Ansagen Ordnung in das System hinein zu befehlen. Sie brechen den Prozess ab. Retten aber dafür auch erst einmal den Frieden im System.

Phase 4: Symmetriebruch – Im Fall „Pizzanudeln“ aber war keine „Autoritätsperson“ anwesend. Die Akteur*innen mussten ihre Differenzen alleine austragen. Und plötzlich – scheinbar wie aus dem Nichts – kam die Lösung: Wir machen Pizzanudeln.

Phase 5: Konsensualisierung – Das ist eine Erfindung, die aus der Not geboren, neu und originell ist. Alle sehen hier den plausibelsten Weg, den Prozess – hier die Geburtstagsüberraschung – noch zu retten. Es herrscht wieder Konsens. Eine neue Idee hat sich durchgesetzt und wird zur neuen Kultur des Akteursfeldes „Wohnheim“.

Deswegen ziehen jetzt alle an einem Strang. Plötzlich läuft es wie am Schnürchen. Und am Ende der Geschichte sind alle glücklich. Aus dem teilweisen Chaos wurde dank des Aushandelns auf Augenhöhe durch Basmia eine erste fragile Normalität. Der hohe soziale Druck zwang die Akteur*innen zum konstruktiven Austausch. Und plötzlich – scheinbar wie aus dem Nichts – entstand die neue Idee.

Übertragen auf interkulturelle Prozessdynamiken bedeutet das: Am Anfang war keine gemeinsame Konventionalisierung im Akteursfeld. Es standen sich unterschiedliche Perspektiven gegenüber. Durch den Austausch entstand eine erste fragile Normalität, die sich im weiteren Verlauf der Interaktion zu einer tragenden gemeinsamen Normalität verfestigt hat.

In der Weiterführung der synergetischen Sichtweise auf Interkultur ergibt sich dann die Frage, wie wir als Akteur*innen der Beruflichen Orientierung im Speziellen wie auch als Akteur*innen in interkulturellen Kontexten im Allgemeinen solche synergetischen Prozesse anwerfen und begleiten können.

 

Im Versuch, diese Frage zu beantworten, empfehlen wir Ihnen, noch einmal die Erklärung vom Lehrer Müller zu den Themen „Zufall“ und „Augenhöhe“ anzuhören. Darin fasst er schon einiges zusammen.

Jetzt folgen hier die wichtigsten Tipps zur Frage: Wie moderiere ich interkulturelle Synergie?


Differenzen sind der Motor des interkulturellen Lernens.

  • sondern um einen Weg ohne ihn.[3] Sie müssen Differenzen aushalten, um Synergien zu ermöglichen. Konsens-Strategien sind der süße Kleister, der die Differenzen oberflächlich harmonisiert. Aber dann schmoren die kulturbedingten Differenzen in der Tiefe weiter. Die synergetischen Potentiale der interkulturellen Begegnung werden so wegharmonisiert. Übrig bleibt ein Mainstream-Einheitsbrei getreu dem Motto: Wir lieben uns alle. Aber leider werden die nicht gelösten Differenzen unter der Oberfläche weiter eskalieren und das gesamte Sozialsystem mit fortlaufender Entwicklung bedrohen.

Man kann Synergien nicht von oben herab managen. Vertrauen Sie dem Prozess. Menschen wollen keine Instabilität. Sie wollen Stabilität. Sie wollen Orientierung. Deswegen versuchen Sie, aus der gegebenen Situation das Beste zu machen. Die synergetischen Potentiale der interkulturellen Begegnung ergeben sich durch die Interaktion konkurrierender Ordnungssysteme und Potentiale und nicht durch den Befehl von oben. Im Gegenteil: Der Befehl von oben zerstört den fragilen Findungs- und Normalisierungsprozess.

Für Pädagog*innen sind instabile soziale Prozesse ein Graus. Die Schule wie auch die Ausbildung sind strukturell auf Ordnung und Prozess-Kontrolle angelegt. Das aber steht im direkten Widerspruch zu den synergetischen Prinzipien. Eigendynamisch eskalierende Prozesse führen zu Stress vor allem bei den Prozessverantwortlichen. Sie gehen in den Reflex der Prozessunterdrückung mit dem Ziel, Ordnung und Ruhe herzustellen. Mehr noch: Die Unterdrückung selbstorganisierender Prozesse ist in Form von offiziellen Regeln strukturell angelegt. Damit unterbinden die Akteur*nnen/Systemrepräsentant*innen und Machtmonopolisten die Entfaltung der Potentiale der Beteiligten[4]. Sie verhindern systemrettende Synergien.

Beispielsweise in Ihrer BO-Klasse oder als Ausbilder*in im Zuge der arbeitsweltlichen Orientierung. Schützen Sie den Prozess. Nehmen Sie sich raus. Agieren Sie auf Augenhöhe. Das bedeutet: zulassen und coachen. Nicht anordnen und strukturieren. Überlassen Sie das den Akteur*innen und Schüler*innen, die im Kontext der beruflichen und arbeitsweltlichen Orientierung zusammen in Interaktion kommen.


6.2 Mit Stress in Interkulturen umgehen

Noch ein paar Bemerkungen zum Thema „Stress“. Die scheinen uns erforderlich, weil das Zulassen von Differenz bis hin zum heftigen Streit und Austausch über mögliche Formen von Zusammenlernen und Zusammenarbeit gerade für die Verantwortlichen viel Stress auslösen kann.

Vermeiden Sie kulturelle Zuschreibungen und Stereotypisierungen.

Bitte vermeiden Sie stereotypisierende Erklärungsmodelle für Stress. So getreu dem Motto: „Die Italiener“ werden schneller laut als „die Deutschen“. Die Versuchung ist nahe, das zu tun.

Solche kulturellen Zuordnungen bringen nichts. Weil wir damit einzelnen Menschen Eigenschaften von Kollektiven (die Italiener) zuordnen. Diese Zuordnungen sind aber zu unserem größten Bedauern Normalität.

Stress ist einfach ein biologisches Phänomen, das in jedem Menschen angelegt ist. Die einen gehen schneller hoch. Die anderen nicht so schnell. Die einen leiden mehr unter dem Kontrollverlust als andere.

Tipp: Senden Sie positive Signale. Signalisieren Sie Aufmerksamkeit und Zuwendung. Überlegen Sie sich, ob Sie aus der Gruppe eine Coachassistent*in gewinnen können. Ist grad jemand greifbar, der vermitteln könnte? Gewinnen Sie Zeit, wenn es Ihnen heiß wird. Überlegen Sie alternative Handlungsmuster, z.B. die Prozessverantwortung der Gruppe zu übertragen und den Raum zu verlassen.

Sie können auch die Situation auf der Meta-Ebene reflektieren. Beispielsweise: „Wir haben jetzt noch 50 Minuten Zeit und dann kommt Basima. Das ist jetzt ganz schön stressig. Also mir fällt gerade nichts ein. Hat jemand von Euch eine Idee?“

7. Stress in Interkulturen

Am besten ist es, wenn es Ihnen gelingt, mit bewusster Moderation den Stress erst gar nicht hochkommen zu lassen. Dazu ein paar Tipps zu einem solch proaktiven Vorgehen plus ein Modell zum Umgang mit Stress. Und zweitens lesen Sie im Folgenden noch Überlegungen zum Umgang speziell mit Stress in interkulturellen Situationen.

Sie brauchen einen Plan, wenn Stress hochkocht, egal, ob in interkulturellen oder in monokulturellen Settings.

Dreh- und Angelpunkt Ihres Plans: Dampf ablassen, durchatmen, Sekunden verstreichen lassen, atmen und ruhig bleiben.

Emotion gegen Vernunft: Stress bedeutet, dass Sie Ihre Gefühle nicht mehr kontrollieren können. Das heißt, dass negative Emotion über positive Vernunft siegt. Also nochmal: Sekunden verstreichen lassen, ruhig bleiben und die Brücke zur Vernunft wiederfinden. Wie das geht: Thematisieren Sie ihr Gefühl, z.B.: „Ich bin jetzt ganz schön gestresst …“

Gratulation – Sie haben den ersten und schwierigsten Schritt geschafft. Und dann:

Spielen Sie den Ball zum Partner / zur Partnerin: „Was schlägst Du vor?“. Dann sollten Sie schweigen und für einen Moment innehalten (Trick: still 3 Sekunden abzählen).

Stress in interkulturellen Settings bedeutet, dass unsere gewohnten Routinen vom Umgang mit Stress vielleicht nicht mehr greifen:

  • Die Reaktionen meines Gegenübers sind für mich nicht so leicht prognostizierbar. Sein Verhalten ist für mich nicht plausibel.
  • Die sprachliche Verständigung ist erschwert.
  • In mir laufen automatische Stereotypisierungen/kulturelle Zuordnungen ab („Der Italiener ist unbeherrscht…“).
  • Deswegen ist es gerade in diesen interkulturellen Situationen wichtig, den Druck und das Tempo aus der Situation zu nehmen, einen Schlichter / eine Schlichterin dazuzunehmen und auf der Meta-Ebene die Situation zu reflektieren. Eine weitere Möglichkeit ist die Prozessunterbrechung: Schlagen Sie eine kurze Pause vor.

Stress in interkulturellen Settings bedeutet, dass unsere gewohnten Routinen vom Umgang mit Stress vielleicht nicht mehr greifen:

  • Die Reaktionen meines Gegenübers sind für mich nicht so leicht prognostizierbar. Sein Verhalten ist für mich nicht plausibel.
  • Die sprachliche Verständigung ist erschwert.
  • In mir laufen automatische Stereotypisierungen/kulturelle Zuordnungen ab („Der Italiener ist unbeherrscht…“).
  • Deswegen ist es gerade in diesen interkulturellen Situationen wichtig, den Druck und das Tempo aus der Situation zu nehmen, einen Schlichter / eine Schlichterin dazuzunehmen und auf der Meta-Ebene die Situation zu reflektieren. Eine weitere Möglichkeit ist die Prozessunterbrechung: Schlagen Sie eine kurze Pause vor.


 


 

Quellenangaben „Pizzanudeln“

[1] Zitiert nach der GIZ-Akademie https://www.giz.de/akademie/de/html/59662.html (abgerufen am 29.12.2020)

[2] Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben https://www.hilfetelefon.de/aktuelles/interkulturelle-kompetenz-als-haltung-sprachlich-sensibel-und-respektvoll-beraten-beim-hilfetelefon.html

(abgerufen am 29.12.2020)

[3] Vgl. dazu die Ausführungen von Mall, Ram Adhar: Hermeneutik der Überlappung jenseits von Identität und Differenz. Dort zitiert er Geertz: Geertz stellt fest: „Nicht um den Konsens geht es, sondern um einen gangbaren Weg, ohne ihn auszukommen.“(Geertz 1995:82). Interculture 12/21 (2013): 16

[4] Vgl. dazu auch die Ausführungen von Jürgen Bolten, der feststellt, dass strukturorientierte Ordnungsmandate Strukturen schaffen, „die im Sinne des Gesetztesziels Diskriminierung verhindern, dind aber nicht in der Lage die Vielfalt an Expertise und Erfahrung innerhalb der Organisation in einen eigendynamischen synergetischen Prozess zu transferieren, strukturelle Vielfalt zu verflüssigen und damit multikulturelles Miteinander in ein interkulturelles Miteinander überzuleiten“. Aus: Diversity Management als interkulturelle Prozessmoderation. Interculture Journal 2011/13: 34

[5] Vgl. dazu: Konfliktbearbeitung in interkulturellen Kontexten in Jugendhilfe und Schule https://www.dji.de/fileadmin/user_upload/bibs/Konfliktbearbeitung%20in%20interkulturellen%20Kontexten.pdf – abgerufen am 21.01.2023