Kulturschock
Heute geht es um kritische Situationen im Praktikum, die interkulturell motiviert sind.
WORUM ES GEHT
Wir werden anhand unserer Animationen einige typische kritische Situationen demonstrieren, in denen idealtypisch unterschiedliche Phasen und Strategien dargestellt und reflektiert werden, die im Zuge des Anpassungsprozesses an die Gastkultur ablaufen. Diesen Anpassungsprozess nennen wir „Akkulturation“.
Weiter werden wir Strategien darstellen, die sich im Sinne einer erfolgreichen Akkulturation als besonders hilfreich erweisen.
Amar/Fleischerei
Dimitri und Ali/Kfz-Werkstat
Dimitri und Ali/Kfz-Werkstat
Basima/Chemielabor und treffen im Wohnheim
Strategien der Akkulturation
Aus interkultureller Perspektive gibt es vier unterschiedliche Akkulturationsstrategien:
- Assimilation: Anpassung an die Mehrheit – Die Schülerinnen und Schüler befolgen die Anweisungen und geben ihren eigenen Standpunkt auf.
- Integration: Schülerinnen und Schüler begründen den kulturell motivierten Standpunkt und suchen im Dialog mit den deutschen Kolleg*innen nach einer Lösung unter Bewahrung der eigenkulturellen Identität. Dies setzt allerdings auch die Dialog- und Integrationsbereitschaft der dominanten Kultur in Form eines wechselseitigen Austausches voraus.
- Segregation: Schülerinnen und Schüler lehnen das Anliegen des Vorgesetzten strikt ab. Sie bestehen auf der Erhaltung der eigenkulturellen Werte ohne in den Dialog zu gehen.
- Marginalisierung: Schülerinnen und Schüler bauen angesichts der Anforderungen eine ablehnende Haltung zur Aufnahmekultur auf. Das kann in der Folge zu einer sozialen Abgrenzung führen.
Im Praktikum oder in der Ausbildung können unterschiedliche Weltanschauungen und Kulturen aufeinanderprallen, was den Erfolg des Praktikums und damit den gesamten Prozess der Beruflichen Orientierung gefährden könnte.
Betrachten wir deswegen noch einmal genauer die Geschehnisse in den Animationen unter der Frage: In welchem Quadranten der Akkulturation befinden sich die jungen Menschen?
Quelle: https://www.ikud.de/wp-content/uploads/2019/10/akkulturationsmodell-berry.jpg.webp
Akkulturation: Tipps für die Akteur*innen der Beruflichen Orientierung
Kulturschock ist normal: Wenn die Schüler*innen den behüteten Raum Schule verlassen und ihre ersten Eindrücke in Unternehmen sammeln, dann ist das für einige durchaus mit emotionalem Stress verbunden. Im Vorfeld könnten Sie im Zuge des BO-Unterrichtes folgende Fragen aufwerfen:
- Mindestanspruch: Was sind Eure minimalen Erwartungen an das Praktikum/an die Ausbildung? Was tun, wenn diese Eure minimalen Erwartungen nicht erfüllt werden?
- Orientierungsklarheit: Was tun, wenn Ihr am Anfang noch keine Orientierung/Durchblick habt, wie es in der neuen Situation abläuft?
- Verhaltensangemessenheit: Welches Verhalten ist gerade am Anfang des Praktikums/der Ausbildung angemessen, wenn es Irritationen, Konflikte oder Stress gibt?
Unser Tipp: Hinsichtlich der letzten beiden Punkte (Orientierungsklarheit/ Verhaltensangemessenheit) geht es darum, den Schüler*innen klar zu machen, dass sie in den Dialog gehen sollten. Entweder sie suchen das Gespräch mit Gleichaltrigen im Unternehmen oder zu den Vertrauenspersonen, die das Unternehmen benennt.
Letztendlich ist jeder Übergang von Schule in Beruf/Praktikum hochgradig individuell.
Herausforderung „Sprache“: Viele junge Menschen nichtdeutscher Herkunftssprache sehen sich im Praktikum/der neuen Ausbildung mit Fachworten, Dialekten und anderen sprachlichen Herausforderungen konfrontiert. Teilweise sind auch die Stammteams nicht bereit, sprachlich auf die „Neuen“ Rücksicht zu nehmen: Die Teambesprechungen sind schnell und genuschelt, Maschinenlärm beeinträchtigt zusätzlich die Verständlichkeit.
Merke: Die Schüler*innen haben nur eine Chance auf gerechte Teilhabe, wenn sie ihre Probleme des Sprachverstehens thematisieren. Das ist für junge Menschen oft schwer. Noch dazu laufen sie Gefahr, dass das Team dann eine ablehnende Position gegenüber dem oder der Neuen aufbaut. Dennoch: Dialog und Thematisieren und die Bitte um Rücksichtnahme sind zumindest EINEN Versuch wert. Alternativ bleibt nur runterschlucken und sprachliche Bewältigungsstrategien erarbeiten. Aber das sprengt unseren Rahmen und ist eher eine DAZ Angelegenheit.
Was kann zu einer „Inneren Kündigung“ (Segregation oder Marginalisierung) führen?
- Ein Auslöser (neudeutsch „Trigger“): Das ist eine neue ungewohnte Situation, die zu emotionalem Stress führt.
- Das Fehlen von Plausibilität: Die betroffene Person kann sich die Situation nicht erklären, was zu Verhaltensunsicherheit, situativen Unwohlsein bis hin zur Handlungsblockade führt.
- Fehlende Bewältigungsmechanismen: Die Person fühlt sich überfordert und der Situation hilflos ausgesetzt. Sie findet in ihrem Verhaltensrepertoire keine Umgangsroutine.
- Sprachliche Asymmetrie: Wenn noch dazu die Person sich in einer solch belastenden Situation sprachlich nicht oder nicht ausreichend mitteilen kann, dann gewinnt diese Situation an Schärfe. Insofern muss beim Kulturschock die sprachliche Symmetrie mitgedacht werden. Der sprachlichen Asymmetrie kommt eine besondere Bedeutung zu, weil das Herstellen von Plausibilität wie auch die aktive Bewältigung dieser emotional belastenden Situation primär über Dialog/Sprache abläuft.
Im Kontext der Beruflichen Orientierung kann der Mangel an Plausibilität und die mangelnde Kompromissbereitschaft seitens des Stammpersonales dazu führen. Das mögen die Gepflogenheiten am Arbeitsplatz im deutschen Ausbildungsunternehmen sein. Das mögen die Werte sein, die stillschweigend vorausgesetzt werden und subkulturell mit Bedeutung aufgeladen sind beispielsweise: Pünktlichkeit, Sauberkeit, Zuverlässigkeit, Freundlichkeit, Initiative, Belastbarkeit.
Deswegen empfehlen wir im Zuge der Vorbereitung auf ein Praktikum das Handeln auf zwei Ebenen:
– Auf der einen Seite die Werte und stillschweigend vorausgesetzten Gepflogenheiten der deutschen Unternehmenskultur präsentieren und diskutieren und mit Bedeutung aufladen.
– Auf der anderen Seite sprachliche Lösungsmöglichkeiten erarbeiten, die ein gegenseitiges Verstehen und damit das Herstellen von Plausibilität ermöglichen. Das wurde weiter oben schon angesprochen als sprachliche Bewältigungsstrategien.
Arbeitsblätter:
Quiz zum Akkulturationsmodell: