Kulturschock

Heute geht es um kritische Situationen im Praktikum, die interkulturell motiviert sind.

WORUM ES GEHT

Wir werden anhand unserer Animationen einige typische kritische Situationen demonstrieren, in denen idealtypisch unterschiedliche Phasen und Strategien dargestellt und reflektiert werden, die im Zuge des Anpassungsprozesses an die Gastkultur ablaufen. Diesen Anpassungsprozess nennen wir „Akkulturation“.

Weiter werden wir Strategien darstellen, die sich im Sinne einer erfolgreichen Akkulturation als besonders hilfreich erweisen.

Amar/Fleischerei

Die Situation für Amar ist eine typische Situation, die im Zuge eines Akkulturationsprozesses geschehen kann und geschieht.

Die Situation löst bei Amar ein verständliches Unbehagen aus: als Moslem hinter der Theke Schweinefleisch verkaufen und verpacken zu müssen. Umgeben von Schweinfleisch, vom Geruch von Schweineleberwurst und der Haptik der blutigroten Fleischstücke: würde auch so manch Nicht-Moslem ekeln.

Wobei das Argument mit den Gummihandschuhen auch plausibel ist. Erschwerend kommt noch der soziale Druck dazu. Jetzt muss der Kollege an der Fleischtheke das Doppelte arbeiten. Amar ist in einer schweren Situation.

Mit seiner Bereitschaft, an der Fischtheke auszuhelfen demonstriert er aber seine grundsätzliche Bereitschaft zur Kooperation.

Amar vertritt in unserer Animation seine kulturellen Werte bei gleichzeitiger Bereitschaft zu Dialog und Kooperation. Sein Verhalten ist ein Beispiel für gelingende Integration. Möglich wird das, weil alle Beteiligten zum Dialog und zum Ausloten möglicher Lösungen bereit sind.

Dimitri und Ali/Kfz-Werkstat

Pünktlichkeit ist eine kulturelle Konstruktion. Das sehen wir an diesem Beispiel. Ali stammt aus einem anderen Kulturraum, in dem Pünktlichkeit anders verstanden wird als in einer deutschen Autowerkstatt. Dimitri ist in Erfurt geboren. Er hat die hiesigen informellen Regeln hinsichtlich Pünktlichkeit am Arbeitsplatz verinnerlicht. Ali hat dagegen andere Regeln aus einer anderen Kultur verinnerlicht.

Das zeigt sich auch deutlich, als Ali nach offiziellem Ende der Arbeitszeit seine Arbeit dennoch fertigmachen will; während Dimitri in bester deutscher Tradition Punkt 16:30 Uhr „den Hammer fallen lässt“.

Das Verhalten von Ali nach Feierabend relativiert dessen Unpünktlichkeit am Morgen. Das ist eine hervorragende Ausgangsbasis zur wertschätzenden Verständigung hinsichtlich der weiteren Zusammenarbeit. Ali ist auf dem besten Weg hin zur Integration unter Bewahrung seiner multikulturellen Identität.

Bleibt die Frage: Wie könnte eine Integration in den Beruf erfolgreich verlaufen? Betrachten wir uns dazu die Animation mit Basima im Chemielabor.

Basima/Chemielabor und treffen im Wohnheim

Basimas Start in das Praktikum war holprig. Aber dann hat es sich noch sehr gut entwickelt.

Ein Grund dafür liegt in der Bereitschaft sowohl von Herr Weiss wie auch von Basima, sich über die unterschiedlichen Erwartungen und Perspektive auszutauschen. Wenn das gelingt, dann ist das mehr als die halbe Miete hinsichtlich eines konstruktiven Miteinanders.

Die beste kultursensible Lösungsstrategie in schweren Situationen ist das Gespräch über die Situation. Basima und Herr Weiss haben so Plausibilität hergestellt und sich über das weitere Vorgehen verständigt.

Wir nennen das „Meta-Kommunikation“. Das ist der zentrale Beitrag zu Klärung. Voraussetzung ist, dass beide Parteien erstens dazu bereit und zweitens dazu auch fähig sind. Wenn auch nur eine der beteiligten Parteien nicht dazu bereit ist, dann ist der Prozess in Gefahr.

Bitte vergleichen Sie dazu noch unsere Übung weiter unten in Punkt 6.

Strategien der Akkulturation

Aus interkultureller Perspektive gibt es vier unterschiedliche Akkulturationsstrategien:

  1. Assimilation: Anpassung an die Mehrheit – Die Schülerinnen und Schüler befolgen die Anweisungen und geben ihren eigenen Standpunkt auf.
  2. Integration: Schülerinnen und Schüler begründen den kulturell motivierten Standpunkt und suchen im Dialog mit den deutschen Kolleg*innen nach einer Lösung unter Bewahrung der eigenkulturellen Identität. Dies setzt allerdings auch die Dialog- und Integrationsbereitschaft der dominanten Kultur in Form eines wechselseitigen Austausches voraus.
  3. Segregation: Schülerinnen und Schüler lehnen das Anliegen des Vorgesetzten strikt ab. Sie bestehen auf der Erhaltung der eigenkulturellen Werte ohne in den Dialog zu gehen.
  4. Marginalisierung: Schülerinnen und Schüler bauen angesichts der Anforderungen eine ablehnende Haltung zur Aufnahmekultur auf. Das kann in der Folge zu einer sozialen Abgrenzung führen.

Im Praktikum oder in der Ausbildung können unterschiedliche Weltanschauungen und Kulturen aufeinanderprallen, was den Erfolg des Praktikums und damit den gesamten Prozess der Beruflichen Orientierung gefährden könnte.
Betrachten wir deswegen noch einmal genauer die Geschehnisse in den Animationen unter der Frage: In welchem Quadranten der Akkulturation befinden sich die jungen Menschen?

Quelle: https://www.ikud.de/wp-content/uploads/2019/10/akkulturationsmodell-berry.jpg.webp

Akkulturation: Tipps für die Akteur*innen der Beruflichen Orientierung

Kulturschock ist normal: Wenn die Schüler*innen den behüteten Raum Schule verlassen und ihre ersten Eindrücke in Unternehmen sammeln, dann ist das für einige durchaus mit emotionalem Stress verbunden. Im Vorfeld könnten Sie im Zuge des BO-Unterrichtes folgende Fragen aufwerfen:

  1. Mindestanspruch: Was sind Eure minimalen Erwartungen an das Praktikum/an die Ausbildung? Was tun, wenn diese Eure minimalen Erwartungen nicht erfüllt werden?
  2. Orientierungsklarheit: Was tun, wenn Ihr am Anfang noch keine Orientierung/Durchblick habt, wie es in der neuen Situation abläuft?
  3. Verhaltensangemessenheit: Welches Verhalten ist gerade am Anfang des Praktikums/der Ausbildung angemessen, wenn es Irritationen, Konflikte oder Stress gibt?

Unser Tipp: Hinsichtlich der letzten beiden Punkte (Orientierungsklarheit/ Verhaltensangemessenheit) geht es darum, den Schüler*innen klar zu machen, dass sie in den Dialog gehen sollten. Entweder sie suchen das Gespräch mit Gleichaltrigen im Unternehmen oder zu den Vertrauenspersonen, die das Unternehmen benennt.

Letztendlich ist jeder Übergang von Schule in Beruf/Praktikum hochgradig individuell.

Herausforderung „Sprache“: Viele junge Menschen nichtdeutscher Herkunftssprache sehen sich im Praktikum/der neuen Ausbildung mit Fachworten, Dialekten und anderen sprachlichen Herausforderungen konfrontiert. Teilweise sind auch die Stammteams nicht bereit, sprachlich auf die „Neuen“ Rücksicht zu nehmen: Die Teambesprechungen sind schnell und genuschelt, Maschinenlärm beeinträchtigt zusätzlich die Verständlichkeit.

Merke: Die Schüler*innen haben nur eine Chance auf gerechte Teilhabe, wenn sie ihre Probleme des Sprachverstehens thematisieren. Das ist für junge Menschen oft schwer. Noch dazu laufen sie Gefahr, dass das Team dann eine ablehnende Position gegenüber dem oder der Neuen aufbaut. Dennoch: Dialog und Thematisieren und die Bitte um Rücksichtnahme sind zumindest EINEN Versuch wert. Alternativ bleibt nur runterschlucken und sprachliche Bewältigungsstrategien erarbeiten. Aber das sprengt unseren Rahmen und ist eher eine DAZ Angelegenheit.

Was kann zu einer „Inneren Kündigung“ (Segregation oder Marginalisierung) führen?

  1. Ein Auslöser (neudeutsch „Trigger“): Das ist eine neue ungewohnte Situation, die zu emotionalem Stress führt.
  2. Das Fehlen von Plausibilität: Die betroffene Person kann sich die Situation nicht erklären, was zu Verhaltensunsicherheit, situativen Unwohlsein bis hin zur Handlungsblockade führt.
  3. Fehlende Bewältigungsmechanismen: Die Person fühlt sich überfordert und der Situation hilflos ausgesetzt. Sie findet in ihrem Verhaltensrepertoire keine Umgangsroutine.
  4. Sprachliche Asymmetrie: Wenn noch dazu die Person sich in einer solch belastenden Situation sprachlich nicht oder nicht ausreichend mitteilen kann, dann gewinnt diese Situation an Schärfe. Insofern muss beim Kulturschock die sprachliche Symmetrie mitgedacht werden. Der sprachlichen Asymmetrie kommt eine besondere Bedeutung zu, weil das Herstellen von Plausibilität wie auch die aktive Bewältigung dieser emotional belastenden Situation primär über Dialog/Sprache abläuft.

Im Kontext der Beruflichen Orientierung kann der Mangel an Plausibilität und die mangelnde Kompromissbereitschaft seitens des Stammpersonales dazu führen. Das mögen die Gepflogenheiten am Arbeitsplatz im deutschen Ausbildungsunternehmen sein. Das mögen die Werte sein, die stillschweigend vorausgesetzt werden und subkulturell mit Bedeutung aufgeladen sind beispielsweise: Pünktlichkeit, Sauberkeit, Zuverlässigkeit, Freundlichkeit, Initiative, Belastbarkeit.

Deswegen empfehlen wir im Zuge der Vorbereitung auf ein Praktikum das Handeln auf zwei Ebenen:

– Auf der einen Seite die Werte und stillschweigend vorausgesetzten Gepflogenheiten der deutschen Unternehmenskultur präsentieren und diskutieren und mit Bedeutung aufladen.

– Auf der anderen Seite sprachliche Lösungsmöglichkeiten erarbeiten, die ein gegenseitiges Verstehen und damit das Herstellen von Plausibilität ermöglichen. Das wurde weiter oben schon angesprochen als sprachliche Bewältigungsstrategien.

Arbeitsblätter:

Unsere Arbeitsblätter verdeutlichen unsere Empfehlungen. Wir empfehlen folgende Arbeitsblätter hinsichtlich des Themas „Kulturschock“:

direkte und indirekte Kommunikation
sprachliche Asymmetrie
interkulturell angemessene Metakommunikation
Perspektivenreflexivität

Zur grundsätzlichen Dynamik der interkulturellen Kommunikation empfehlen wir als Hintergrundinformation das Arbeitsblatt „Entwicklung einer Definition von Interkultur“.

Das zeigt sich auch deutlich, als Ali nach offiziellem Ende der Arbeitszeit seine Arbeit dennoch fertigmachen will; während Dimitri in bester deutscher Tradition Punkt 16:30 Uhr „den Hammer fallen lässt“.

Das Verhalten von Ali nach Feierabend relativiert dessen Unpünktlichkeit am Morgen. Das ist eine hervorragende Ausgangsbasis zur wertschätzenden Verständigung hinsichtlich der weiteren Zusammenarbeit. Ali ist auf dem besten Weg hin zur Integration unter Bewahrung seiner multikulturellen Identität.

Bleibt die Frage: Wie könnte eine Integration in den Beruf erfolgreich verlaufen? Betrachten wir uns dazu die Animation mit Basima im Chemielabor.

Quiz zum Akkulturationsmodell: