Worum geht’s?
Interkulturelle Trainings schulen die Fähigkeit, zielgerichtet und kompetent in interkulturell sensiblen Lehr-Lern-Arrangements zu agieren. Um das zu schaffen, sollte man sich aber zuerst von dem Gedanken verabschieden, dass die bloße Kenntnis über vermeintliche kulturelle Besonderheiten meines Gegenübers eine reibungslose Kommunikation ermöglicht. Direkte Schlüsse auf Basis kultureller Zuschreibungen beruhen i.d.R. eher auf Stereotype und können häufig Abwehrhaltungen hervorrufen. Trotzdem gibt es viele interessante und wichtige Dinge, die uns den Umgang mit Schülerinnen und Schülern in heterogenen Lerngruppen erleichtern.
Was heißt das konkret?
Hinweis: Sie können den erläuternden Text lesen oder sich anhören (nach unten scrollen)!
Jeder von uns macht sich ständig ein Bild seiner Umgebung und seines Gegenübers. Je fremder uns die Umgebung und ein Gegenüber ist, umso mehr sind wir darauf angewiesen, zu deuten und zu interpretieren. Interpretieren hilft, die Wirklichkeit zu verstehen (Schulz von Thun MR 1, S72).Nach einem interkulturellen Training sind die Interpretationen und Deutungen einer Wahrnehmung vielleicht treffsicherer. Sie können aber auch in die Irre führen und Vorurteile verstärken. Darin liegt das Problem!
Wenn interkulturelles Training mutmaßlich Vorwissen über eine Kultur manifestiert und dabei eine stereotype Pseudosicherheit erzeugt, findet oftmals kein Dialog mehr statt. Und Stereotype verhärten sich. Die eigene Deutung auch als Deutung und nicht als die Wirklichkeit zu erkennen und im Zusammentreffen mit dem Anderen vorsichtig zu thematisieren, bringt die Kommunikation/den Dialog wieder zum Fließen. Dabei erst entsteht aus der Deutung Wissen über den Anderen. Stereotype lösen sich auf. Es gibt hierzu einen schönen und passenden Begriff von Paul Mecheril (2002) – die „Kompetenzlosigkeitskompetenz“ Demnach besteht die Kompetenz im Umgang mit Fremdheit darin, vorbehaltlos ohne Kompetenz auskommen zu können. Das heißt, in interkultureller Kommunikation benötige ich die Einsicht, dass ich mich immer wieder aufs Neue orientieren muss, mein Handeln auf Menschen und Umstände abstimmen muss. Das Vorwissen über den Anderen und seine Kultur legt den Anderen fest auf das Bild, das ich mir durch irgendeinen Lernprozess gemacht habe und vom dem aus ich deute. Kommunikation dagegen gibt dem Anderen, dem Fremden, die Möglichkeit, sich selbst auszudrücken und zu erklären. Vorwissen über eine andere Kultur dient zwar der Abmilderung möglicher Unsicherheit, ersetzt aber nicht die Kommunikation und damit den unmittelbaren gemeinsamen Wissenserwerb. Es müssen also Kenntnis der anderen Kultur und das Bewusstsein der eigenen Unkenntnis im Gleichgewicht bleiben. Es hat etwas mit Respekt zu tun, kulturelle Unterschiede zu berücksichtigen und sich mit anderen Kulturen zu befassen. Genauso hat es mit Respekt und Achtung zu tun, dabei nicht stehen zu bleiben, sondern auch Faktoren mit einzubeziehen, die aus dem jeweiligen Kontext und der jeweiligen Situation her erwachsen.
Hier eine animierte Szene aus der Praxis:
Haben Sie das Problem verstanden? Hier testen Sie sich selbst!
Im nachfolgenden Beispiel können Sie die neu erhaltenen Einblicke testen. Schauen Sie sich genau an, wie sich Amera, Herr Kurz und Dr. Lang verhalten und beantworten Sie im Anschluss die Fragen in der Animation.
Hier ein paar wichtige Hinweise für die pädagogische Praxis:
- Seien Sie sich stets bewusst, dass Sie die Verhaltensweisen Ihrer Schülerinnen und Schüler deuten und interpretieren. Diese Deutung kann Richtig, aber auch Falsch sein.
- Besonders in interkulturellen Kontexten können Deutungen weit an der Realität vorbeigehen, wenn Sie sich zu sehr auf kulturelle Zuschreibungen fokussieren.
Noch ein paar Hinweise speziell für die Berufliche Orientierung:
- Seien Sie sich Ihrer eigenen Unsicherheiten bei der Deutung bewusst und nutzen Sie Fragen anstelle von Zuschreibungen, um Situationen aufzulösen.
- Kommunizieren Sie stets auf Augenhöhe.
- Jeder Mensch ist komplex und die Summe vieler Einflussfaktoren.